Wandern mit Kindern am Aletschgletscher in der Schweiz ist eigentlich eine spannende Sache. Wo sonst können Eltern mit den Kindern in Eishöhlen einsteigen? Doch auch dieser eisige Gigant ist bedroht. Durch die Klimaerwärmung verliert auch der Aletschgletscher immer mehr an Volumen. Hier stellt sich die Frage: Wie sieht diese Alpenregion einmal aus, wenn der Gletscher verschwunden ist?
Was kommt nach dem Eis? Entweder ein Kaffee oder der Aufbruch. Doch Spaß beiseite, die Fakten über den Klimawandel in den Alpen sind erschreckend: In den vergangenen 150 Jahre verloren die Alpengletscher ein Drittel von Ohrer Fläche. Noch drastischer ist es was die Masse dieser Eisgiganten betrifft: Sie halbierte sich. Experten halten es für wahrscheinlich, dass in diesem Jahrhundert alle Gletscher in den Alpen für immer abschmelzen. Wenn Ihr mit den Kindern am Aletschgletscher wandert, ist dies kaum zu glauben. Doch selbst der größte Gletscher Europas hat seit 1976 viel verloren: Alleine in den vergangenen 40 jahren sind 1,3 Kilometer von ihm abgeschmolzen. Doch was passiert, wenn der Aletschgletscher vollständig verschwunden ist? Eine Frage die kaum zu beantworten ist, wenn wir mit den Kindern dort wandern. Doch wir und die nachfolgenden Generationen sind für diese Eisriesen verantwortlich. Mit unserem Verhalten tragen wir jeden Tag dazu bei, dass die Gletscher dahinschmelzen. Auch der Aletschgletscher mit seiner beeindruckenden Länge von 23 Kilometern und einer Eisdicke die teilweise 900 Meter beträgt kämpft mit zu heißen Sommern und einer Schneefallgrenze die immer mehr noch oben abwandert. Das erzählt Euch jeder Bergführer, wenn Ihr mit ihm und den Kindern dort wandert.
Wandern mit Kindern am Aletschgletscher: Arktische Seenlandschaft und Lärchenwälder
Der Glaziologe David Volker aus der Schweiz beschäftigt sich wissenschaftlich mit Gletschern. Grundsätzlich müssen wir damit rechnen, dass die Gletscher noch schneller als bisher abschmelzen und jeder Eisriese tut dies auf seine eigene Art und Weise. »Das ist ein dynamischer Prozess«, sagt David Volken, Gletscher- und Hochwasserexperte beim Schweizerischen Bundesamt für Umwelt. »Es werden arktische Seenlandschaften entstehen, mit Eistunneln und Gletschertoren – schön und vergänglich.« Dazu muss sich das Schmelzwasser des Gletschers in einer Talsenke sammeln, die Gletscherzunge mündet in den See, bildet ein Eisriff und kalbt, das heißt riesige Eisbrocken fallen mit lautem Getöse ins Wasser.
»Viel Action verspricht das«, meint Volken. »Und es ist sehr eindrucksvoll, besonders wenn die Eisberge in der Sonne glitzern.« Doch Schönheit und Gefahr liegen dicht beieinander: Fallen Eis- und Geröllmassen in einen Bergflanken-See, steigt das Risiko von Überschwemmungen im Tal. »Deshalb sollte man diese Seen auch keinesfalls sich selbst überlassen«, warnt Experte David Volken. Diese mitunter zerstörerische Kraft kann man regulieren und sogar nutzen – etwa mit neuen Kraftwerken, Dämmen und klugen Bewässerungssystemen. So könnte man das Schmelzwasser speichern und dosiert an landwirtschaftliche Flächen abgeben oder höhere Regionen beschneien – auch zum Wohl von Flora und Fauna, die den Schnee zum Überleben benötigen.
Pioniere in Grün, Gelb und Blau
Wärmer wird’s und damit erst mal auch brauner. Das schmelzende Eis hinterlässt unwirtlich erscheinende Moränenfelder aus Geröll und abgeschliffenen Steinen, die sich jedoch innerhalb weniger Jahrzehnte von frischem Grün und Farben erobern lassen. In den ersten Jahren sprießen die Moose und weitere sogenannte Pionierpflanzen wie der gelb blühende Bewimperte Steinbrech oder das blaue Alpen-Leinkraut, die dem scheinbar feindlichen Untergrund ihre Lebensgrundlage abringen. Nach etwa 30 Jahren gesellen sich Sträucher und Bäume wie die glatte Lärche und die für die Aletschregion typische knorrige Arve, beides Kiefernarten, in über 2000 m Höhe hinzu. Nach 100 Jahren, ein Klacks auf dem Zeitstrahl der Erde, ist das ehemals Braune von einem jungen Lärchen-Birkenwald bedeckt und lockt gestresste Städter auf der Suche nach Entschleunigung ins „neue Grün“ der Aletsch Arena. So zumindest die Vision des Glaziologen David Volken.
40 Jahre Pro Natura Zentrum Aletsch
Im Pro Natura Zentrum Aletsch kann man sich aktuell ein umfassendes Bild von der Entwicklung machen: Das erste Naturschutzzentrum der Schweiz zeigt anlässlich seines 40. Jubiläums in diesem Sommer eine Ausstellung u.a. zum rasanten Eisverlust des größten Alpengletschers innerhalb der vergangenen 40 Jahre. Auch herrliche geführte Wanderungen und Exkursionen lassen sich von hier auf den Großen Aletschgletscher unternehmen. Doch das „ewige“ Eis wird nicht mehr allzu lange zu besichtigen sein.Bei einer Gletscherwanderung kommt man um diese Wahrheit nicht herum, doch man erfährt sie gewissermaßen aus erster Hand und aufs Engste mit dem Wunsch verknüpft, dass diese wunderbare Natur erhalten bleibt. Laudo Albrecht, Leiter des Pro Natura Zentrums Aletsch, hofft, dass diese Erfahrung und die Faszination des Gletschers dabei helfen, das Bewusstsein für seine Gefährdung zu schärfen und die Menschen für den Schutz der Natur zu gewinnen. Es wäre schön, wenn diese Rechnung aufginge.