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Aletschgletscher für Kinder: Einen gefährdeten Riesen entdecken

Der Aletschgletscher ist für Kinder ebenso beeindruckend wie für Erwachsene. An diesem Eisriesen in der Schweiz lässt sich leider auch beobachten, was passiert wenn sich das Klima ändert. Wieder einmal stolpert der Mensch über sein größtes Problem: Lineares Denken. Was es für Folgen hat, wenn ein 23 Kilometer langer Eistitan seinem langsamen Ende entgegengeht, das können aus unterschiedlichen Perspektiven die Familien am Aletschgletscher vor Ort beobachten. Im besten Fall denken die Besucher um und ändern ihre bisherigen Gewohnheiten.

 

„Ein Gletscher ist ganz hoch in den Bergen, wo immer Schnee liegt. Es taut immer ein bisschen was weg, dann schneit es wieder und dann taut es wieder weg und es schneit wieder. Aber was ist, wenn es mehr taut als schneit?“ das frägt sich der kleine Bergfuchs Mika. Er ist erst sechs Jahre jung und seine Generation muss mit den Folgen kämpfen, was vor ihnen die Erwachsenen angerichtet haben. Weltweit schmelzen die Gletscher. Nur extrem wenige gewinnen an Masse hinzu. Seriöse schweizer Forscher brachten es im vergangenen Sommer auf den Punkt”Die Gletscher in den Alpen sind nicht mehr zu retten“. Leider interessierte diese Feststellung nur eine Minderheit an Zeitungslesern. Wenn es die Meldung dorthin überhaupt schaffte. Für viele ist ein Gletscher ein riesiges Gebilde aus Schnee und Eis. Bestenfalls zum Skifahren im Sommer gut. Doch die Auswirkungen auf das Klima in Mitteleuropa haben durch das Fehlen der Gletscher fatale Folgen. Sie wirken wie eine riesige Klimaanlage und lassen die warme Luft abkühlen. “Den Wissenschaftlern wird schon was einfallen” posten manche Schlauen unter Beiträgen über die Klimaerwärmung. “Alles nur Panikmache!” eine Meinung die solche linear Denkenden auch mit dem derzeitigen US-Präsidenten teilen. Am besten ist es sich vor Ort zu überzeugen. Deshalb lohnt es sich mit der Familie mit der Bahn zum Aletschgletscher zu reisen. Im letzten Jahr hat sich der Aletschgletscher massiv verschoben. “Man muss sich das vorstellen wie ein dickes, leicht geöffnetes Buch, das auf dem Rücken steht, den Buchschnitt, also die Seiten, nach oben“, beschreibt der Geologe Michael Ruppen die Situation vor Ort. „Die Seiten stellen unseren Hang aus Gneis- und Granitschichten dar, und damit das Buch so stehen bleibt, braucht es ganz massive Buchdeckel – das sind der Aletsch- und früher auch der Rhonegletscher, die den Hang gewissermaßen stützen.“ Was passiert, wenn der Gletscher wegschmilzt? Plötzlich ist die Stütze weg und nun “blättern” sich die Seiten auf. Unmengen an Gestein rutschen unkontrollierbar ab. Einen ähnlichen Vorgang gab es vor etwa 10.000 Jahren. Am Ende dieser geologischen Entwicklung  entstand das Hochplateau der Aletsch Arena, auf dem sich heute die idyllischen, autofreien Bergdörfer Riederalp, Bettmeralp und Fiescheralp befinden. Damals endete das letzte Glazial, wie Experten die Eiszeit nennen. Ohne Zutun der Menschen. Im Gegensatz zu den heutigen Entwicklungen. 2016 bewegte sich das Gestein der Gletscherzunge mit bis zu 70 Zentimetern am Tag. Normalerweise sollten es nur Millimeter im Jahr sein. Für einen Gletscher sind die täglichen  70 Zentimeter ein ungewohnter Sprint, den er nicht verkraften kann. Deshalb entstanden an der Moosfluh gigantische Risse. Bis auf weiteres hat sich dort die Lage stabilisiert. Ein Grund zur Etwarnung? Keinesfalls, denn die Forscher messen bei dem Kalkofen-Plateaus eine Verschieberate von täglich 20 Zentimetern.

Am Aletschgletscher sind Kinder auf dem Eis unterwegs, dass leider bedroht ist und sehen vor Ort was der Klimawandel mit sich bringt.
foto (c) altescharena

„Wanderwege und Skipisten sind sicher“, sagt der Naturgefahren-Experte

Die Verantwortlichen der Region wären wohl keine echten Schweizer, hätten Sie nicht für solche Szenarien bereits Vorkehrungen getroffen. Peter Schwitter, der durch seine Tätigkeiten als Bergführer, Bergretter und Lawinendienst-Leiter hier jeden Stein kennt, beobachtet als sogenannter Naturgefahren-Experte im Auftrag des Kanton Wallis das Gebiet. „Als wir letztes Jahr neue Risse beobachtet haben, wurde umgehend reagiert. In solch einem Fall schalten wir Geologen ein, die die entsprechenden Messungen vornehmen, und sprechen dann eine Empfehlung an die Gemeinde aus. Die hat sofort ein Gebiet von circa zwei Quadratkilometern gesperrt.“Trotz der massiven Verschiebungen vom letzten Jahr und des unaufhaltsamen Schmelzens des Eisgiganten, bedeutet die Situation glücklicherweise keine Gefahr für den Menschen, sagt Schwitter – und erinnert, ganz der strenge Bergführer, daran, dass man im Gebirge immer auf den Wegen bleiben sollte. „Dann hat man nichts zu befürchten: Erstens betrifft diese geologische Massenbewegung kein besiedeltes Gebiet, zweitens ist der gefährdete Bereich gut erkennbar gesperrt und drittens sind von den 317 Wanderweg-Kilometern gerade mal 4 Kilometer betroffen, für die attraktive Alternativen angelegt werden konnten. So wurde ein schöner alter Weg, der östlich der Moosfluh zum Gletscher hinunter führt, wieder ausgebaut. Er ermöglicht einen sicheren Zugang zum Gletscher und wurde von den Gästen vom ersten Moment an sehr geschätzt.“ Auch für Wintersportler gibt Schwitter Entwarnung: „Skipisten und Bergbahnen sind nicht betroffen.“

Alteschgletscher mit Kindern erleben: Eisige Höhlen für kleine Forscher

Im Sommer gibt es jeden Dienstag und am Donnerstag Expeditionen in die Katzenlöcher. Los geht die eisige beim Infocenter Bettmeralp: Wenn die Kinder sieben Jahre oder älter sind dürfen sie mit und die Erwachsenen natürlich auch. Mit dabei ist ein entsprechend ausgebildeter Bergführer und das Abenteuer beginnt, wenn die Outdoorkids ihre Steigeisen anlegen. Diese sind im Beitrag für die Teilnehmer von 40 CHF (Kinder) und 60 CHF (Erwachsene) inklusive. Außerdem gibt es im Sommer, außer montags, viele weitere Touren auf dem Alteschgletscher. Aus verschiedenen Schwierigkeitsgraden und Längen können die Familien die passende Tour für sich aussuchen. Die Schweizer wissen wie bedroht der Gletscher ist und haben deshalb die  Anzahl der Wanderungen und die Teilnehmerzahl begrenzt.Was für die Kinder wichtig ist: Wer die „Expedition“ erfolgreich absolviert hat, bekommt nach der Tour einen Pin als Auszeichnung zum Gletscherbotschafter überreicht.

Am Aletschgleschter steigen die Kinder mit erfahrenen Führern in die eisigen Katzenlöcher ein.
foto (c) altescharena

Eine Bergbahn bewegt sich mit dem Gletscher und das Ganze lässt sich besichtigen

Inzwischen laufen die Messungen automatisch und rund um die Uhr: Ein GPS-gestütztes System schickt laufend aktuelle Daten von der Bergstation der Gletscherbahn an die zuständigen Geologen, Webcams und Satelliten überwachen das Gebiet, Geophone messen Mikro-Erschütterungen in der Tiefe. „Mit dieser Überwachung, gehört die Gletscherbahn Moosfluh in der Aletsch Arena, zu den sichersten Verkehrsmitteln der Schweiz“, sagt der Geologe Michael Ruppen und freut sich selbst an diesem beeindruckenden Superlativ.Die Massenbewegungen an der Moosfluh wären für eine herkömmliche Bergbahn schwer zu verkraften. Deshalb hat man hier – Sie ahnen es – bereits vor Jahren vorgesorgt. „Schon bei der alten Gletscherbahn, die bis 2015 in Betrieb war, haben wir immer wieder minimale Bewegungen festgestellt“, erinnert sich Valentin König, CEO der Aletsch Bahnen AG. „Das haben auch die geologischen Messungen im Gebiet bestätigt.“ Zudem wusste man um die Voraussetzungen für derartige Massenbewegungen: die geologische Disposition, also die Art und Schichtung des Gesteins; die Gletscherschmelze, durch die die Stütze des Berges verloren geht; und schließlich die Klimaveränderungen – es regnet mehr und friert weniger tief. So war klar, dass eine neue Bahn ganz besondere Ansprüche zu erfüllen hat: Sie muss sich mit dem Berg mitbewegen. So etwas gab es bisher nirgends. Valentin König erklärt: „Die Bergstation und die obersten Stützen stehen in einer Betonwanne, die wie ein Boot auf einem See mit Strömung und Wind mitgeht – bis zu elf Meter in der Horizontalen und neun Meter in der Vertikalen. Die weiteren Stützen bis zur Mittelstation sind ebenfalls verschiebbar.“ Was den Fahrgästen in der Regel verborgen bleibt, wird bei der geführten Tour hinter die Kulissen eindrucksvoll ersichtlich: Die gesamte Anlage ist eine technische Meisterleistung. Der Bereich der Bergstation liegt auf instabilem Grund, ein ausgeklügeltes System aus Seilbahnstützen mit Verschiebechassis und einer Bergstation in einer Betonwanne, ausgerüstet mit hydraulischen Pressen, sorgt dafür, dass die obere Sektion dieser Bahn mit dem Gelände mitwandert. Und zwar in den nächsten 25 Jahren sage und schreibe elf Meter weit und neun Meter in die Tiefe.Termine für Gruppen auf Anfrage: Aletsch Bahnen AG, info@aletschbahnen.ch, +4127 9284141

Die Tierwelt profitiert von dem neuen Ruhegebiet

Wer von der Sperrung im Gebiet besonders profitiert, sind die Birk- und Schneehühner, die Rothirsche und Gämsen – vertreten durch Laudo Albrecht, den Leiter des Pro Natura Zentrums Aletsch: „Für die Tierwelt ist so ein Ruhegebiet natürlich positiv“, weiß er. Nicht, dass sonst im Aletschwald mit seinen bis zu tausend Jahre alten Arven (Zirbelkiefern) Halligalli wäre, doch wenn monate-, vielleicht jahrelang, ein Teil des Waldes nicht betreten wird, leben die Tiere dort vollkommen ungestört. Gämsen und Rothirsche hat Albrecht bereits im Rutschgebiet beobachtet. „Die würden das rechtzeitig merken, wenn Gefahr droht – wahrscheinlich spüren sie das, auch wenn es wissenschaftlich noch nicht erwiesen ist. Das Einzige, was die Tiere im Moment manchmal stört, sind die Helikopter der Wissenschaftler, die hin und wieder ins Sperrgebiet fliegen, um hier Untersuchungen vorzunehmen. Für sie ist das hier – wie auch für uns – ein unglaublich spannendes Forschungsobjekt.“ Das bestätigt auch der Geologe Michael Ruppen: „Das hier ist Geologie live“, sagt er. „Und für Besucher interessant: Wenn man sich an die Sperrungen hält, kann man sich völlig gefahrlos in geologisch aktivem Gebiet bewegen.“ Mehr über die faszinierende Welt am Aletschgletscher gibt es im Gipfelmuseum Gletscherwelt Bettmerhorn. Die Erlebnisausstellung vermittelt Groß und Klein Wissenswertes über den Gletscher, lädt zu einer spannenden Entdeckungsreise, zum spielerischen Erforschen und zu einem atemberaubenden Blick auf den gewaltigsten Eisstrom der Alpen ein. Geöffnet Mitte Juni – Mitte Oktober. Multimedia Show täglich von 9-16 Uhr (stündlich). Der Eintritt ist frei. Auf der Ice Terrasse erwarten den Besucher gemütliche Liegen zum Entspannen und ein atemberaubender Panoramablick auf den Gletscher und 40 Viertausender.

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